Sagen, was ist – und es messbar machen
Dieser Artikel basiert auf einem Interview mit Johannes Ehrnsperger, Inhaber und Geschäftsführer der Neumarkter Lammsbräu. Im Mittelpunkt steht nicht die große Geste, sondern der pragmatische Umbau von Wertschöpfung: weg von reiner Wirkungserzählung, hin zu messbaren Leistungen, verlässlichen Partnerschaften und fairer Bezahlung. Ehrnsperger denkt Nachhaltigkeit als Betriebssystem – vom Acker bis ins Glas, vom Datentool bis zur Auszahlung.
Im Gespräch skizziert er, wie Lammsbräu ökologische und soziale Mehrwerte sichtbar macht und monetär anerkennt: Landwirt:innen erhalten nicht nur faire, mehrjährige Preise, sondern zusätzlich eine Vergütung für Gemeinwohlleistungen – also für das, was Wasser schützt, Böden stärkt, Biodiversität fördert und die Region resilienter macht. Zugleich rückt er die Ressource Wasser ins Zentrum unternehmerischer Verantwortung: als Lebensader für Brauerei, Landwirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen.
Die Perspektive eines Familienunternehmers
Neumarkter Lammsbräu ist fast 400 Jahre alt – 1628 erstmals urkundlich erwähnt, seit 1800 in Familienhand, heute von Johannes Ehrnsperger in siebter Generation geführt. Seit 1977 verfolgt die Brauerei systematisch den Weg zum ökologischen Unternehmen; 1987 kam das erste Bio-Bier, 1995 war das gesamte Biersortiment auf 100 % Bio umgestellt. Aus der Brauerei wurde mit den Jahren ein Bio-Pionier mit beachtlicher Hebelwirkung in die Region: vom Wasser- und Bodenschutz über die Förderung der Biodiversität bis zur fairen Bezahlung regionaler Landwirtschaft.
Johannes Ehrnsperger (im Gesprächsduktus):
„Wir wollen zeigen, dass Genuss, Ökolandbau und Enkeltauglichkeit zusammengehören – nicht als Idee, sondern als belastbares Geschäftsmodell.“
„Wir bezahlen, was die Gesellschaft stark macht“ – Gemeinwohlleistungen im Fokus
Kern der Botschaft Ehrnspergers: Lammsbräu vergütet zusätzlich zu den fairen Rohstoffpreisen die Gemeinwohlleistungen der über 180 EZÖB-Betriebe (Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe) mit 1 % des Jahresumsatzes – bezogen auf zuletzt 31,7 Mio. €. Das Unternehmen ist damit das erste in Deutschland, das diese bisher „unsichtbaren“ Leistungen direkt monetär honoriert.
Zitat Johannes Ehrnsperger:
„Wir bezahlen die Bauern ab sofort nicht nur für die gelieferten Rohstoffe, sondern auch für die von ihnen für die Gesellschaft erbrachten Leistungen.“
Warum das wichtig ist: Wer ökologisch wirtschaftet, schützt Wasser, Boden und Artenvielfalt, stärkt regionale Netzwerke und schafft gute Arbeit – Werte, die allen zugutekommen. Diese Extrakosten bleiben in klassischen Marktpreisen unsichtbar. Lammsbräu macht sie sichtbar und vergütet sie – leistungsbezogen, transparent und anhand wissenschaftlich erhobener Daten (ein Online-Tool mit rund 500 Kennzahlen bestimmt je Hof einen Nachhaltigkeitsgrad und damit die Auszahlungshöhe; überdurchschnittliche Performance wird überproportional belohnt).
Was ist eine „Gemeinwohlleistung“?
- Ökologie: Wasserschutz, humusmehrende Fruchtfolgen, Verzicht auf synthetische Pestizide, Hecken & Blühstreifen, Bodengesundheit, Klimaschutz.
- Soziales: Qualität der Arbeitsplätze, Ausbildung, Gesundheit, Einbindung in die Region.
- Regionalökonomie: Faire, mehrjährige Preise, kurze Wege, resiliente Lieferbeziehungen, lokale Wertschöpfung.
Erfasst und gewichtet über ein seit 2022 erprobtes Datentool (≈ 500 Indikatoren). Ergebnis: individueller Nachhaltigkeitsgrad je Hof.
Wie Lammsbräu Gemeinwohlleistungen honoriert
Element | Vorgehen bei Lammsbräu | Wirkung |
---|---|---|
Budget | 1 % vom Jahresumsatz fließen an EZÖB-Höfe (Basis: 31,7 Mio. € in 2023) | Verlässliche, planbare Zusatzvergütung |
Messung | Online-Tool mit ~500 Kennzahlen → Nachhaltigkeitsgrad je Hof | Transparenz, Fairness, Lernkurve |
Verteilung | Mix aus Gleichverteilung und Leistungsbonus (Überperformer erhalten überproportional) | Anreize für ökologische & soziale Exzellenz |
Grundlage | Ergänzt faire, fünfjährige Rohstoffpreise (bis zu +20 % vs. Bio, bis zu +200 % vs. konventionell) | Gegen das Höfesterben, Investitionssicherheit |
Beleg aus Pilotstudien: 27 beispielhaft untersuchte EZÖB-Höfe erbrachten 1.442.707 € Gemeinwohlleistungen pro Jahr; das entspricht ~750 €/ha bzw. ~53.434 € je Betrieb (Ø-Nachhaltigkeitsgrad: ~70 %). Bemerkenswert: Kleinere Betriebe erzielen oft überproportional hohe Leistungen. Hochgerechnet auf die gesamte EZÖB ergibt sich konservativ ein gesellschaftlicher Mehrwert von ~10 Mio. € jährlich.
Kernaussage:
„Sichtbarkeit schafft Wertschätzung – und Wertschätzung schafft Zukunft für Höfe.“
Wasser: Ressource, Verantwortung, Haltung
Dass Lammsbräu Wasser in den Mittelpunkt stellt, ist kein Zufall. Für eine Brauerei ist Wasser Rohstoff und Lebensader – für die Region ist es Allmende. Der Schutz von Trinkwasser gehört seit Jahrzehnten zum Kern der Unternehmensstrategie (u. a. mit der EZÖB-Landwirtschaft, die Gewässerbelastungen reduziert und Bodenfruchtbarkeit stärkt). Schon 2023 wurde sichtbar, welche Dimensionen solche Kooperationen erreichen können: Die rund 180 EZÖB-Landwirt:innen schützen 13,5 Mrd. Liter Wasser in der Region.
Ehrnsperger im Forumskontext:
„Wasser darf kein Privileg sein. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit Qualität und Zugang gesichert bleiben – auch für kommende Generationen.“
Mit diesem Anspruch hat Lammsbräu 2025 das Forum Nachhaltigkeit unter das Leitmotiv „Wem gehört das Wasser?“ gestellt – gemeinsam mit der Petra Kelly Stiftung und der GLS Bank. Die Podiumsgäste (u. a. Dr. Dina Barbian, Dr. Franz Ehrnsperger, Mathias Friedrichs, Dr. Annette Massmann) diskutierten Zugangs- und Gerechtigkeitsfragen einer Ressource, die in Zeiten von Klimawandel, Nutzungskonflikten und wirtschaftlichen Interessen knapper und umkämpfter wird.
Sichtbarkeit für Wandel: Der Lammsbräu-Preis für Nachhaltigkeit
Lammsbräus Kommunikationsprinzip ist fördernd statt fordernd: Wandel braucht Vorbilder, Gemeinschaftsgefühl und Anerkennung. Deshalb verleiht Lammsbräu seit 2002 jährlich den Preis für Nachhaltigkeit – 2025 bereits zum 24. Mal. Die Bandbreite reicht von Medienschaffenden bis zu Geschäftsmodellinnovationen, ergänzt um Sonder- und Publikumspreise.
Preisträger 2025 (Auswahl):
- Medienschaffende: Zukunft Erde – Feuchtgebiete (Thomas Krumenacker, Christian Schwägerl) – eine journalistische Arbeit, die jenseits gängiger Narrative zeigt, warum Feuchtgebiete Schlüsselökosysteme sind.
- Unternehmerische Partnerschaften: Kulturland – genossenschaftlicher Flächenkauf zugunsten regionaler Bio-Höfe (zugleich Publikumspreis).
- Nachhaltige Geschäftsmodellinnovation: Silbury – KI-gestütztes Reporting verbindet Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
- Unternehmerischer Klimaschutz: Schaubühne am Lehniner Platz – Kulturinstitution mit konsequenter Nachhaltigkeitsstrategie.
- Non-Profit: Umweltstation Mooseum – Pionierarbeit in BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung).
- Sonderpreis: Renate Künast – als Pionierin der Agrarwende hat sie Reformen angestoßen, deren Wirkung bis heute reicht.
Ehrnsperger (über den Sinn der Auszeichnung):
„Sichtbarkeit und positives Feedback bringen gute Ideen weiter und stärken die Menschen, die sie tragen.“
„Regional ist Strategie“: Liefernetz, Preise, Resilienz
Ein Kernbegriff in Ehrnspergers Antworten ist Planbarkeit. Bio-Umstellungen gelingen nicht mit Preislottoscheinen, sondern mit verlässlichen Zusagen. Darum setzt Lammsbräu auf fünfjährige Preisabsprachen mit den EZÖB-Höfen – über Marktniveau und entkoppelt von anonymen Börsenbewegungen. In Kombination mit der neuen Gemeinwohlvergütung entsteht ein hybrides Anreizsystem: stabile Basis + leistungsbezogener Bonus. Ergebnis: Resilienz gegen Volatilität, Motivation für Öko-Investitionen, Lernkurve für alle Beteiligten.
Infobox: Das EZÖB-Netzwerk (Kurzprofil)
- > 180 Bio-Höfe, ≤ 150 km um die Brauerei, zusammen ~ 7.500 ha.
- Ziel: Verlässliche, faire Partnerschaft – kurze Wege, gemeinsame Standards.
- Ergebnis: mehr Wasser-, Boden- und Biodiversitätsschutz in der Region – mit realem Monetarisierungsmodell.
„Vom Sud bis zur Saat“: Souveränität durch eigene Strukturen
Ehrnsperger verweist auf Infrastruktur, die Abhängigkeiten reduziert und Regionalität stärkt – etwa die eigene Bio-Mälzerei (seit 2021 in Betrieb, Kapazität 4.500 t Malz/Jahr; Grundlage für rund 10.000 ha regionalen Bio-Anbau). Damit gewinnt das Unternehmen steuerbare Qualität und eine höhere Wertschöpfungstiefe in der Region. Die 2021 geschärfte Klimastrategie 2.0 und der Beitritt zur Science Based Targets initiative (1,5 °C-Ziel bis 2030 als erster deutscher mittelständischer Lebensmittelhersteller) verankern das in einer Governance, die prüf- und berichtbar ist.
Produkte als Hebel für Alltag und Haltung
Lammsbräu ist heute Deutschlands größte Bio-Brauerei – und zugleich ein Hersteller für Bio-Getränke weit über Bier hinaus: now Bio-Limonade, BioKristall. 2024 lag die Gesamtproduktion bei 230.384 hl (davon 73.251 hl Bio-Bier, 157.134 hl alkoholfreie Bio-Getränke). Kooperationen wie mit dem 1. FC Nürnberg – now als erste Bio-Limonade in einem Bundesligastadion – verankern Nachhaltigkeit dort, wo Alltag entsteht: am Kiosk, auf der Tribüne, im Freundeskreis.
Der Gedanke dahinter:
„Je normaler Bio wird, desto kräftiger fällt der Hebel in Richtung Enkeltauglichkeit aus.“
„Zahlen & Klartext“ – der transparente Blick ins Unternehmen
- Rechtsform: KG
- Umsatz 2024: 31,7 Mio. € (wie 2023)
- Mitarbeitende: 142 (Stand März 2025)
- Vertrieb: 98 % Deutschland, 2 % Export (nach ökologischen Kriterien ausgewählte Länder)
- Sortiment: 24 Bio-Biersorten (10 alkoholfrei), 2 Bio-Spezialitäten (darunter glutenfrei), 13 now-Sorten, 2 BioKristall
- Rohstoffprofil now: ~ 95 % Zutaten aus Europa; ~ 85 % aus Deutschland; 438,3 t Naturland-Fair zertifizierter Bio-Rübenzucker aus der Region decken den kompletten Zuckerbedarf.
Prinzip:
„Transparenz ist kein Zusatz, sie ist der Beweis unserer Absichten.“
Drei Miniaturen aus der Lammsbräu-Welt
1) Die Hecke
Ein Hof pflanzt Hecken, legt Blühstreifen an, arbeitet humuspositiv. Das Wasser bleibt länger im Boden, das Grundwasser sauberer, die Artenvielfalt sichtbar lebendiger. Bis vor Kurzem hätte niemand diesen Mehrwert bezahlt – jetzt schon. Gemeinwohlleistung ist nicht länger ein Ehrenamt, sondern Anreiz und Anerkennung.
2) Der Vertrag
Wer fünf Jahre klare Preise hat, plant Fruchtfolgen anders, investiert anders, schläft anders. „Bio“ ist eine Investition in Bodenfruchtbarkeit – sie braucht Zeit. Der Mix aus fairer Basisvergütung und leistungsbezogenem Bonus macht aus Partnerschaften Zukunftsverträge.
3) Die Tribüne
Im Stadion greift jemand zur now-Limo. Kein Statement, nur Durst – und doch verändert sich etwas: Bio wird normal. Wo Konsum stattfindet, kann Kultur kippen – schrittweise, aber konsequent.
Was Ehrnsperger anderen Unternehmen rät
- Messen, was zählt: Entwickelt Tools, die ökologische, soziale und regionale Leistungen quantifizieren – und macht Auszahlungen daran fest. (Lammsbräu: ~500 Kennzahlen, Nachhaltigkeitsgrad, leistungsbezogene Verteilung.)
- Partnership over Price: Verlasst die Spotmarktlogik. Mehrjährige, faire Preise schaffen Investitionssicherheit – gerade bei Umstellungen auf Bio.
- Regionalnetze bauen: ≤ 150 km, > 180 Höfe, ~ 7.500 ha – solche Netze stiften Resilienz und reduzieren ökologische Externalitäten.
- Wasser ins Zentrum: Wer produzieren will, muss Wasser schützen – technisch, agronomisch, politisch. Debattenräume wie das Forum Nachhaltigkeit helfen, Anspruch und Praxis zu verbinden.
- Ziele verankern: SBTi, Klimastrategie 2.0, eigene Mälzerei – Governance, die verlässlich ist, vermeidet Greenwashing und stärkt das Vertrauen.
Der rote Faden heißt Verantwortung
Ehrnspergers Antworten kreisen immer wieder um dieselbe Idee: Verantwortung ist kein Wort, sondern eine Wertschöpfungskette – vom Acker bis zum Glas, von der Messung bis zur Auszahlung, vom Fair-Preis bis zum Forum.
Lammsbräu zeigt, wie das geht: sichtbar, prüfbar, bezahlt. Und weil es bezahlt wird, wird es bleiben. Das ist vielleicht die wichtigste Nachricht aus diesem Gespräch – und ein Angebot an alle, die Ökonomie und Ökologie nicht länger als Gegensatz begreifen wollen.